Am Samstag habe ich mir in der Hamburgischen Staatsoper Evita angesehen. Preis pro Kopf: 72 Euro. Evita (María Eva Duarte de Perón) setzte sich einst für die Interessen der Armen in Argentinien ein. Von den Reichen gehasst, von den Armen als eine Art Schutzengel verehrt, beeinflusste sie die Politik mit wohl fanatischem Ehrgeiz und Engagement.
Natürlich musste ich beim Besuch der Staatsoper in Hamburg auch kurz an den seit einigen Tagen teils hitzig diskutierten „Bildungsgutschein von Frau Ursula von der Leyen“ denken. Ich fragte mich, wie viel Bildung, Kultur oder auch Nachhilfe ein Schüler wohl mit einem Gutschein über 200 Euro pro Jahr genießen kann.
Im Grunde eine prima Sache, so ein Bildungsgutschein. Außerdem fein, dass die Nachhilfe nun scheinbar doch (auch politisch) förderungswürdig erscheint, wo Schüler und Auszubildende laut Statistik kaum mehr an berufsqualifizierender Nachhilfe – während oder auch nach der Schullaufbahn – vorbei zu kommen scheinen.
Ob die „Nachhilfe auf Chip-Karte“ aber schon eine ausreichend gute Idee ist?
Laut RP Online ist die CSU der Auffassung, wir bräuchten keinen „Super-Nanny-Staat„. Persönlich bin ich der Auffassung, dass eine „Bildungs-Super-Nanny“ u. U. aber auch nicht schadet. 😉
Allgemeines zum Bildungsgutschein
Der Bildungsgutschein ist eigentlich keine ganz neue Idee. In seiner ursprünglichen Fassung von 1955 (Milton Friedman) war der Bildungsgutschein dazu gedacht, Auszubildenden unabhängig vom Elterneinkommen einen Förderbetrag zukommen zu lassen, mit welchem jeder Auszubildende unabhängig von Herkunft oder Haushaltseinkommen außerschulische Bildungseinrichtungen besuchen und bezahlen könnte.
Bildungsgutscheine werden in Deutschland auch von der Bundesagentur für Arbeit bereits erfolgreich eingesetzt, zur Förderung einer beruflichen Weiterbildung.
In Amerika wurden Bildungsgutscheine bereits als Mittel zur Finanzierung von Nachhilfe getestet, in Chile soll der Einsatz von Bildungsgutscheinen zur Gründung einer Vielzahl von Privatschulen geführt haben.
Zur Verwendung von Bildungsgutscheinen im Bereich der Nachhilfe („USA-Test“) liegen folgende Informationen vor:
In New York City war die Nachfrage nach Nachhilfe-Gutscheinen größer als das Angebot, so dass die Nachhilfe-Gutscheine verlost werden mussten. Die Nachhilfe selbst fand leider nicht in Form von professioneller Einzelnachhilfe durch ein qualifiziertes Nachhilfeinstitut statt, sondern an einer privaten High School, vermutlich im Gruppenunterricht. Zum Vergleich von zum Beispiel Mathematik-Leistungen der Nachhilfeschüler wurde eine „Kontrollgruppe“ herangezogen. Das Ergebnis der Versuche zum Bildungsgutschein war für amerikanische Wissenschaftler „unbefriedigend“. Was ich leider nicht weiß: „Haben sich Eltern oder die Schüler selbst für die Nachhilfe-Gutscheine beworben? Sind die Schüler also aus eigener Motivation heraus angetreten, um die Nachhilfe zur persönlichen Leistungs- bzw. Notenverbesserung zu nutzen? War die Auswahl der Kontrollgruppenschüler für einen solchen Versuch ausreichend valide? In welcher Form wurde der „Unterricht mit Bildungsgutschein“ dargeboten? Wie unterschiedlich war das Leistungsniveau der einzelnen, hier getesteten Bildungsgutschein-Nachhilfeschüler?“
Verglichen mit dem durchschnittlichen Nachhilfeerfolg der ABACUS Nachhilfeinstitute fragt man sich doch, weshalb die Bildungsgutscheine in den Auswertungen amerikanischer Wissenschaftler den erhofften Erfolg nicht bestätigen konnten.
Der Bildungsgutschein und die „Stuttgarter Lösung“
Die im Zusammenhang mit dem Bildungsgutschein gern genannte „Stuttgarter Lösung“ scheint im Direktvergleich zu hinken, weil dort, soweit mir bekannt ist, eine Diskriminierung (bei Gutscheinvorlage) von vorn herein ausgeschlossen wird, indem der Gutscheinvergabe ein Haushaltseinkommen von bis zu 60.000 Euro zu Grunde gelegt wird. Der Gutschein in Stuttgart ist also kein „Hartz-IV-Gutschein“, der neue Bildungsgutschein aber könnte einer werden. Der Gutschein in Stuttgart scheint sich außerdem mehr zu einem „Schwimmbaderhaltungsinstrument“ als zu einem Bildungskatalysator entwickelt zu haben. Auch nicht schlecht – und was nicht ist, kann ja noch werden…
Der Bildungsgutschein als Hartz-IV-Lösungsansatz
Der aktuell diskutierte „Hartz-IV-Empfänger-Bildungsgutschein“ soll benachteiligten Kindern den Besuch von Nachhilfe, Musikschule oder Sportverein ermöglichen. Laut Frankfurter Rundschau sollen die meisten Deutschen den Bildungsgutschein einer Bargeldauszahlung auf das Elternkonto vorziehen, grundsätzlich stößt der Bildungsgutschein offenbar auf breite Akzeptanz.
Darüber hinaus wird aktuell darauf spekuliert, der Bildungsgutschein könne langfristig ausnahmslos für alle Kinder in Deutschland als Zahlungsinstrument verwendet werden, dies würde allerdings voraussetzen, dass sich Unternehmer noch stärker als bisher an den Kosten der Aus- und Weiterbildung von Kindern/Schülern/Ex-Schülern beteiligen, mit Zuschüssen, Stiftungen und Bildungsangeboten, die über die Nachhilfe für Auszubildende in Eigenregie oder das Auffangbecken für Schüler ohne qualifizierten Schulabschluss weit hinaus gehen. Welche Alternativen haben die Unternehmer? Nun, sie können Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren, Unternehmensbereiche ins Ausland verlagern oder verstärkt in die Aus- und Weiterbildung bereits ausgewählter Arbeitskräfte investieren, statt „Bildungsmöglichkeiten für alle“ zu finanzieren. Man wird sich daher etwas einfallen lassen müssen, um Bildungsinvestitionen für Unternehmer attraktiv zu machen.
Wo kommt sie eigentlich her, die Bildungsgutscheindiskussion?
Das Bundesverfassungsgericht stellte im Februar 2010 fest, dass die aktuellen Hartz-IV-Sätze für Kinder nicht mit dem Grundgesetz in Einklang stehen (domradio.de: „Nachhilfe aus Karlsruhe„). Die Richter in Karlsruhe forderten die Bundesregierung deshalb dazu auf, die Höhe der Leistungen für etwa 1,7 Millionen betroffene Kinder bis zum Jahresende neu zu berechnen. Auch für Erwachsene müsse ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ gewährleistet werden. Mit dem „Bildungsgutschein“ soll der Versuch unternommen werden, sicher zu stellen, dass Förderleistungen für Kinder am Ende auch bei den Kindern ankommen.
Persönliche Meinungen zum Bildungsgutschein
Den „Bildungsgutschein zur freien Verwendung“ finde ich gut. Im Ansatz unterstützt er die (nicht nur) in Deutschland dringend notwendige „Bildungsoffensive“ und ermöglicht eine individuelle Zusammenstellung von Bildungskomponenten, die ungezwungene Weiterbildung aus eigenem Antrieb heraus.
Persönlich bin ich aber zugleich der Auffassung, dass ein Bildungsgutschein im Wert von 200 Euro nicht ausreichen wird, um Kultur- und divergierenden Bildungsansprüchen gerecht werden zu können. Beispielsweise wird die Begleitung eines Schülers mit professioneller Nachhilfe als Einzelnachhilfe über einen Zeitraum von oft sinnvollen 6 Monaten mit einem solchen Bildungsgutschein allein nicht möglich sein. Im Bereich der schulischen Grundausbildung und Nachhilfe wird ein solcher Bildungsgutschein daher keine Chancengleichheit ermöglichen können.
Mittlerweile habe ich zum Bildungsgutschein eine Menge PRO und CONTRA im Internet gelesen, Meinungen zwischen Begeisterung, Zynismus und Verschwörungstheorie. Auf eine denkbare Bildungsgutschein-Kartenfälschung oder auch Kartendaten-Ausspähung scheint noch keiner gekommen zu sein, wohl aber wurde ein reger Tauschhandel befürchtet, die missbräuchliche Verwendung von Gutschein-Kartendaten, eine versteckte Subventionierung der Kommunen oder gar die fragwürdige Unterstützung eines Spezial-Dienstleisters für „Motivationslösungen“. Auch einen „Gutschein statt Bildungsreform“ scheinen manche Gegner des Bildungsgutscheins zu befürchten.
All das führt mich zu der Überlegung, ob man den gerade erst angedachten Bildungsgutschein für Kinder und ältere Schüler nicht noch „verbessern“ könnte, ohne gleich ein neues Kartensystem einführen und finanzieren zu müssen, das möglicherweise nicht überall kurzfristig zum Einsatz gebracht werden kann:
Facebook ist es gerade gelungen, eine eigene, weltweit gültige „Online-Währung“ einzuführen. Könnte man für Kinder/Schüler nicht eine Art „Bildungswährung“ einführen, die von jedem Computer dieser Welt aus genutzt werden kann? Ich stelle mir gerade eine Online-Plattform vor, auf welcher Bildungs-, Musik- und Sport-Angebote vollständig und altersgruppengerecht aufgelistet werden, ein „System für Transparenz und Chancengleichheit“:
- Jeder Schüler „meines Systems“ könnte aus dem Angebot frei wählen, im Rahmen seines aktuellen „Online-Budgets“.
- Das „Bildungsgutschein-Budget der Kinder/Schüler“ könnte ausschließlich für staatlich genehmigte Angebote verwendet werden.
- „Gesetzliche Beschränkungen für Bildungsgutschein-Konten“, wie der Verlust des Kindergeldes bei AZUBI-Einkommen über 8.004 Euro oder das Verbot des Hinzuverdienstes bei Hartz-IV-Empfängern u. ä. wären in Bezug auf ein „Bürger-Bildungskonto“ sinnvollerweise abzuschaffen, weil die Wirtschaft ohne Eigennutz natürlich nicht bereit oder in der Lage ist, das wachsende, milliardenschwere Bildungsdefizit in Deutschland zu bezahlen.
- Jeder Schüler könnte nach Bedarf für sich und seine individuellen Bildungsvorhaben werben, um Geldspenden für sein Bildungskonto einzuwerben.
- Da manche Schüler erfolgreicher werben würden als andere, könnten für „überschüssige Budgets“ portal-interne Transaktionen auf Gutschein-Konten anderer Schüler ermöglicht werden, die für Investoren jedoch transparent gemacht werden sollten. (Wehe dem, der Gelder einwirbt, ohne sie selbst für den beschriebenen Bildungszweck zu nutzen! ;-))
- Als Grundbetrag würden die angedachten 200 Euro pro Jahr staatlich garantiert werden, nach oben „ungedeckelt“.
„Zielvereinbarungsgespräche“, wie im Zusammenhang mit der Bildungsgutscheindiskussion von CSU-Seite gefordert, könnten aus meiner Sicht zu schnell an den tatsächlichen Neigungen, Interessen und Begabungen der zu fördernden Kinder vorbei führen. Hier würde ich eher einen Bürokratieabbau befürworten, statt eine Bindung und Finanzierung zusätzlicher Ressourcen der Bundesanstalt für Arbeit, die vermutlich in Sachen Kinder-Pädagogik auch nicht über ausreichend Beratungskompetenz verfügt.
Warum die Kinder nicht zur Abwechslung einmal „richtig fördern“ und motivieren, statt sie in Schranken zu verweisen? Wer Bildung wirklich „will“, wird sie sich im Zweifel auch verdienen wollen. Die aktuellen Hartz-IV-Sätze sind gewiss auch außerhalb der Bildungsdiskussion „anhebungsbedürftig“ – aber sollte man denen, die Bildung verlangen, nicht auch die Chance bieten, sie zu verdienen, denen, die Klavier spielen möchten, nicht auch die Chance geben, ein Klavier zu erwerben, denen, die Reitstunden nehmen möchten, nicht auch die passenden Reitstiefel gönnen, … ?
Hmmm…. Ich bin gespannt, wie sich die Bildungsgutschein-Idee weiterentwickelt. Es wäre schon wünschenswert, dass sich Kinder neben der Schule auch Nachhilfe oder später sogar ein Studium leisten können. Wer mehr Bildung verlangt, sollte aus meiner Sicht zumindest auch die Finanzierung erlauben. Es möchte ja nicht wirklich jeder gleich „alles“ geschenkt bekommen.
Was meinen andere?
Der Spiegelfechter-Blog hat bereits 252 Meinungen zum Bildungsgutschein eingefangen. Wow! 😉
Update: Einer aktuellen Reuters-Meldung zu Folge soll mit der Bildungskarte/dem Bildungsgutschein ab 2011 (wo notwendig) ein Mittagessen, die Integration in das Vereinsleben und die vollständige Übernahme notwendiger Nachhilfekosten staatlich sichergestellt werden, sofern der Nachhilfeunterricht von der Schule empfohlen und vom zuständigen Jobcenter bewilligt wird. Auch für Schulausstattung, vom Atlas bis zum Tuschkasten, soll in 2011 gesorgt werden. Nach dem aktuellen Konzept von Frau von der Leyen soll der Bildungsbeitrag nach oben also nicht mehr gedeckelt, sondern abhängig vom tatsächlichen Bedarf eines jeden Kindes ermittelt werden. Ich muss sagen, da bin ich erst einmal sprachlos.
[…] sich die ursprüngliche Idee zum Bildungsgutschein nicht geändert hat, werden Lehrer zu entscheiden haben, wer Nachhilfe erhalten soll. Anschließend […]
[…] man in Deutschland (trotz noch relativ hohem Bildungsniveau bereits) auf eine “Super-Nanni” hofft, verdichtet sich in den USA der Eindruck, dass viele Kinder des in den USA stark angeschlagenen […]