In Hamburg wurde die Einführung der sechsjährigen Primarschule gestern per Volksentscheid mit klarer Mehrheit abgewählt. Der Kern der geplanten Hamburger Schulreform, die Verlängerung des gemeinsamen Lernens von vier auf sechs Jahre, ist damit gescheitert, der größte Teil der Schulreform wird aber dennoch in Hamburg umgesetzt werden:
Ab dem kommenden Jahr werden die weiterführenden Schulen in Hamburg auf zwei Schultypen reduziert, an denen jeweils das Abitur erworben werden kann:
- a) Stadtteilschulen (Hochschulreife nach 13 Jahren möglich)
- b) Gymnasien (Hochschulreife nach 12 Jahren möglich)
Der Fokus der Schulreform dürfte nun also auf die wesentlichen Themen reduziert werden:
- Eltern behalten entgegen der ursprünglichen Planung ihr Wahl- bzw. Mitbestimmungsrecht (gem. Nachbesserung zur Schulreform als Kompromissvereinbarung im Februar 2010).
- Abschaffung von Haupt- und Realschulen (Integrationskonzept),
- Schaffung zusätzlicher Lehrerstellen,
- Verstärkte Lehrerfortbildung,
- Verkleinerung der Klassenstärken,
- Einrichtung weiterer Ganztagsschulen,
- Integration von Kindern mit Behinderungen,
- Förderung einer besseren Lernkultur,
- Abschaffung des von Eltern zu zahlenden Büchergelds.
Kommentar zum Wahlergebnis der Hamburger Schulreform
Das Wahlergebnis verdeutlicht, dass sich Sinn und Zweck einer verlängerten „Aufwärmphase“ – der Volksmund brachte es auf die Formel „länger gemeinsam weniger lernen“ – vielen Menschen in Hamburg nicht erschlossen hat.
Persönlich bin ich der Auffassung, dass das Schulsystem in vielerlei Hinsicht primär ein umfassendes „Ausstattungsproblem“ hat – daneben ein gesellschaftliches Problem. Die „korrigierte“ Fassung nach dem Volksentscheid könnte diesem Umstand vorläufig gerecht werden:
Mit Blick auf einen Fokus-Artikel aus dem vergangenen Jahr habe ich hier schon einmal angedeutet, dass ich eine Schulreform nach finnischem Vorbild für unglücklich bzw. nicht ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar halte. Kinder in Finnland sind eingebettet in ein komplexes, gewachsenes gesellschaftliches (Förder-)System, das sich bei weitem nicht auf eine „verlängerte Grundschulzeit“ reduzieren lässt. Primär scheinen mir eher Defizite wie Lehrermangel, Lehrereignung, Lehrerfortbildung, Schulausstattung und Unterrichtsausfall die Bildungsqualität in Deutschland zu schwächen – aber auch die Einbettung in ein gesellschaftliches Gesamtsystem, das Kindern nicht den nötigen Rückhalt und Entfaltungsspielraum bietet.
Förderung beginnt im Elternhaus, Schule könnte nicht nur Bildung, sondern auch wichtige Schnittstellenfunktionen in Richtung Kultur und Arbeitswelt bieten. Beispielsweise in Amerika, wo der Besuch von Vorzeigeschulen auf Grund von Lage und Ausstattungsqualität zweifellos kostspielig ist, wird Eltern weitaus mehr Engagement für die Schule abverlangt als nur das Bezahlen von Schulgeldern. Sie begleiten die Entwicklung ihrer Kinder und gestalten manchen Unterricht teilweise aktiv, teils spielerisch, bei noch sehr jungen Schülern mit.
„Zukunftsfähig durch Bildung – Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland“ lautete der Titel einer McKinsey-Studie, die im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung durchgeführt und ebenfalls im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Die Studie vermittelt einen Überblick über die Stellschrauben eines funktionierenden Muster- Aus- und Weiterbildungssystems, das neben der Grund-Qualifikation auch eine gewisse Vernetzung in Wirtschaft und Gesellschaft erfordert, ein „plausibles System“, in dem sich lernen lohnt und die Ausbildungsfähigkeit nach dem Schulabschluss nicht länger in Frage gestellt wird. Von einem solchen integrierten Bildungskonzept sind wir in Deutschland möglicherweise noch etwa 100 Mrd. Euro und einige Umdenkprozesse entfernt.
Von daher begrüße ich den Weg der kleinen Schritte, der mit der Schulreform in Hamburg eingeleitet wurde. Wenn sich Schulausstattung und Lehrermotivation verbessern und Schulausfälle auf ein Minimum reduziert werden, wären die Schüler in Hamburg gewiss schon einen großen Bildungsschritt weiter. Wenn mancherorts Eltern noch ein bisschen mehr fördern, statt nur hinausgeschobene Enttäuschungen zu pflegen, könnte ein Ruck in die richtige Richtung gehen, bei dem sich Hamburger vor PISA nicht mehr fürchten müssen. Mal sehen, wie lange es brauchen wird, um den „schiefen Turm von Hamburg“ zu begradigen. 😉
Nur meine Meinung… Was meinen Sie?
[…] weil die Wirtschaft ohne Eigennutz natürlich nicht bereit oder in der Lage ist, das wachsende, milliardenschwere Bildungsdefizit in Deutschland zu […]
[…] die Schulreform in Hamburg durch den Volksentscheid im Juli gekippt wurde, wird in Hamburg weiter gestritten. Von Schulfrieden kann nicht die Rede […]